Lehrersein - ein ständiger Kampf gegen die Rolle des "Lehrers"

Eine Betrachtung zum Schulalltag des Lehrers von Eike A. Detering aus dem Jahre 1970

Wir haben es als Schüler erlebt: Die meisten Lehrer geben sich die größte Mühe, eine Rolle - die Rolle des "Lehrers" zu spielen. Fast alle Lehrer verhalten sich zu Beginn ihrer Lehrtätigkeit so, wie sie es bei ihrem ehemaligen, persönlichen Lieblingslehrer erlebten. Hinzu kommt noch das Bestreben, die Vorstellung vom "Lehrer an sich", die in der Gesellschaft latent vorhanden ist, zu erfüllen. Ein Lehrer hat Autoritätsperson zu sein; er hat möglichst wenig (oder gar nicht) über seine Gefühle zu sprechen; immer muß er korrekt sprechen, korrekt gekleidet sein, nur pünktlich, freundlich, konsequent, unpolitisch; d.h. regierungstreu sein. Sicherlich gibt es noch mehr überlieferte Eigenschaften des "Lehrers". Sie sollen hier aber nicht weiter betrachtet werden. 

Die Behauptung, der moderne, rationale Lehrer der Gegenwart sei doch völlig frei von Vorstellungen des Rollenspiels vom Lehrer gemäß den Vorstellungen der Gesellschaft oder seiner persönlichen Sozialisation, kann nicht einfach akzeptiert werden. 

Viele Junglehrer werden eine Erfahrung gemacht haben wie oben skizziert. Dabei müßte es doch das einfachste auf der Welt sein, sich so zu verhalten wie man persönlich ist. Ich meine, der Schüler hat ein Anrecht, die ungeschminkte Persönlichkeit seines Lehrers zu erleben. Nur dadurch kann jene Redlichkeit und Ursprünglichkeit im Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler entstehen, die im Feld der Erziehung so wertvoll ist (abgesehen davon, daß auch die Schüler Akte der Selbstverleugnung als etwas Erbärmliches empfinden und somit vor einem solchen Lehrer keine Achtung hätten).

So stehen bewußte Lehrer in einem fortwährenden inneren Kampf gegen das "Rollenspiel". Die Macht der Gewohnheit, das sich im Unterbewußstein vollzogen habende Verhaltensmuster vom "Lehrer" wirken relativ stark. Da ist es stets nötig, sich auf sich selbst zu besinnen und das zu verwirklichen, was man selbst für richtig hält.

Besondere Schwierigkeiten tauchen dort auf, wo ein Lehrer keine Kollegen findet, mit denen er gemeinsam an der Verwirklichung eines freien Unterrichts (eines Unterrichts, im dem sich die Persönlichkeiten der Schüler und die Persönlichkeit des Lehrers frei entfalten können) arbeiten kann. In solchen Kollegien fühlt sich der Lehrer meist genötigt, die Erwartungen seiner Kollegen zu erfüllen.

Sich natürlich und ungezwungen zu verhalten, kann Lehrern gar nicht oft genug gesagt werden.

Bei allem Respekt und großem Verständnis für die Notwendigkeit eines staatlichen Lehrplans sei in diesem Zusammenhang darauf verwiesen, daß wir Lehrer doch öfter den Mut haben sollten, auf Schüleranregungen / Schülerwünsche einzugehen, auch wenn dadurch mal die Linie des Rahmenplans verlassen werden muß. Ließen wir uns nämlich zu "Sklaven" von Plänen machen, so ermangelte der Unterricht jeglicher Spontaneität, die das wahre Leben ausmacht. Überhaupt sollte uns beim Kampf gegen das "Rollenspiel" Lebensnähe jeweils Richtschnur sein. Es darf keine Denktabus geben. Probleme müssen aus möglichst vielen Sichtweisen kritisch analysiert und erkannt werden. Dabei sollte der Lehrer mehr und mehr in den Hintergrund treten, damit die Schüler im Gespräch selbst aktiv sind und so immer mehr die Gesprächsführung im Unterricht übernehmen.

Hauptziel unseres Schulwesens muß es sein, mündige und allseits gesunde, gebildete junge Menschen ins "Leben" zu entlassen. Im Rahmen eines von mir oben skizzierten Unterrichts ist ein Wissenszuwachs beim Schüler meist ein "Nebenprodukt", denn dort, wo freudig gelernt wird, da wird auch mehr und besser gelernt.

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