Es
war klar, daß die Kinder der Familie (in diesem Fall: meine Schwester Linde
und ich) total überrascht werden sollten. Dazu gehörte selbstverständlich,
daß Geschenke erst am Heiligen Abend auf dem Gaben-Tisch oder unter dem
Tannenbaum lagen und nicht vorher ausgeplaudert wurden. Dazu gehörte auch, daß
wir den „geschmückten“ Tannenbaum nicht vor Heiligabend sehen durften. Er
wurde daher erst nach dem kargen Mittagessen des 24.12. von den Großeltern
geschmückt und notfalls (einmal –kurz nach dem Krieg- stand er in einem
Durchgangszimmer) mit Tüchern verdeckt.
Wir
Kinder mußten vor der „Bescherung“ in einem Nebenraum (manchmal war dies
das Bad!) warten bis alles bestens gerichtet war, denn die Geschenke waren
zuvor überall in der Wohnung versteckt und wir sollten sie ja erst zur
eigentlichen Bescherung sehen.
Diese
Zeit des „Erwartens“ der bekannt schönen Zeremonie war auch Teil des
Weihnachts-Ganzen.
Wenn
es dann so weit war, klingelte mein Großvater (Alfred Klaus) mit einer Glocke
mit schwarzem Holzstiel so lange, bis wir Kinder ins Festzimmer kamen. Dann
setzte er sich ans Harmonium (klingt fast wie eine Orgel!) und spielte
„Stille Nacht – Heilige Nacht“. Dieses Lied war in unserer Familie nur für
den Heiligen Abend vorgesehen. In einer Ecke stand der erleuchtete
Weihnachtsbaum, der natürlich zuerst unser Augenmerk auf sich zog. Viele
weitere Kerzen beleuchteten das Zimmer feierlich.
Nachdem
wir Kinder ein Weihnachts-Gedicht aufgesagt hatten, durften wir die Geschenke
auspacken. Diese lagen zumeist auf dem Eßtisch. Natürlich hatten wir zuvor
schon geschielt, ob wir irgendeines derGeschenk schon erkennen könnten. Das
Auspacken der Geschenke, das Essen vom Weihnachts-Teller (jeder erhielt seinen
eigenen!) und das Bewundern bzw. Spielen mit den Geschenken nahm viel Zeit in
Anspruch. Süßigkeiten vom „Lichterbaum“ durften am Heiligen Abend noch
nicht entnommen werden.
Nach
einiger Zeit sangen wir zusammen Weihnachtslieder; d.h. mein Großvater
spielte am Harmonium, meine Oma, Mutter (Anneliese Detering, geb. Klaus) und
wir Kinder sangen dazu.
Danach
gab es den traditionellen Heringssalat, den Oma kunstvoll auch mit Äpfeln,
Kartoffeln, gekochten Eiern, roter Beete, Rindfleich und vielem mehr kunstvoll
tags zuvor angerichtet hatte, damit nun alles so herrlich vermischt und durchsättigt
schmecken konnte. Dazu gab es Weißbrot mit dick „guter Butter“ drauf. Oma
sagte, daß bei all dem vielen Süßen am Heiligabend der Heringssalat einen
guten Kontrast bieten würde, was auch wirklich stimmte.
Mehrere
Riesen-Stollen, die meisterlich von Oma erstellt wurden, kamen zuvor zum Bäcker
an der Ecke in der Forsterstraße und wurden dort im großen Ofen gebacken.
Wenn ich mich richtig erinnere, gab es die erste Stolle zum Frühstück am 1.
Feiertag. Der Stollen wurde danach in großen Blechkisten (im Schlafzimmer auf
dem nicht beheizten Kachelofen) aufbewahrt und reichte bis zum Osterfest. Je
später man davon aß, desto mehr schmeckte er nach Marzipan.
Zum
1. Feiertag gab es meist Gänsebraten mit Grünkohl; am 2. Feiertag gab es öfter
Rinder-„Lende“ (Filet!). Nach dem Mittagessen steckte sich Opa eine
Zigarre an und spielte am Harmonium Weihnachtslieder; aber auch manchmal Stücke
aus Wagner-Opern.
Eike A. Detering zu Weihnachten 2000