Der Heilige Abend in Halle / Saale (1949-1955)

Die Garantin eines wirklich schönen, erhebenden Heiligen Abends war zuvörderst meine Großmutter Anna Klaus.
Als Erstgeborene des Schuhmachermeisters Hermann Krüger wuchs sie in Langenbogen, einem Dorf zwischen Halle und Eisleben, mit 2 Brüdern auf. Mein Urgroßvater versorgte neben dem Beruf als Schuhmachermeister mit seiner Familie Haustiere, einen Garten und ein außerhalb des Dorfes gelegenes Feld. Uropa war aber auch Kirchen-Rendant, d.h. er gehörte dem Gemeinde-Kirchenrat an und verwaltete die Kirchenkasse.

Es war klar, daß die Kinder der Familie (in diesem Fall: meine Schwester Linde und ich) total überrascht werden sollten. Dazu gehörte selbstverständlich, daß Geschenke erst am Heiligen Abend auf dem Gaben-Tisch oder unter dem Tannenbaum lagen und nicht vorher ausgeplaudert wurden. Dazu gehörte auch, daß wir den „geschmückten“ Tannenbaum nicht vor Heiligabend sehen durften. Er wurde daher erst nach dem kargen Mittagessen des 24.12. von den Großeltern geschmückt und notfalls (einmal –kurz nach dem Krieg- stand er in einem Durchgangszimmer) mit Tüchern verdeckt. 

Wir Kinder mußten vor der „Bescherung“ in einem Nebenraum (manchmal war dies das Bad!) warten bis alles bestens gerichtet war, denn die Geschenke waren zuvor überall in der Wohnung versteckt und wir sollten sie ja erst zur eigentlichen Bescherung sehen.

Diese Zeit des „Erwartens“ der bekannt schönen Zeremonie war auch Teil des Weihnachts-Ganzen.

Wenn es dann so weit war, klingelte mein Großvater (Alfred Klaus) mit einer Glocke mit schwarzem Holzstiel so lange, bis wir Kinder ins Festzimmer kamen. Dann setzte er sich ans Harmonium (klingt fast wie eine Orgel!) und spielte „Stille Nacht – Heilige Nacht“. Dieses Lied war in unserer Familie nur für den Heiligen Abend vorgesehen. In einer Ecke stand der erleuchtete Weihnachtsbaum, der natürlich zuerst unser Augenmerk auf sich zog. Viele weitere Kerzen beleuchteten das Zimmer feierlich.

Nachdem wir Kinder ein Weihnachts-Gedicht aufgesagt hatten, durften wir die Geschenke auspacken. Diese lagen zumeist auf dem Eßtisch. Natürlich hatten wir zuvor schon geschielt, ob wir irgendeines derGeschenk schon erkennen könnten. Das Auspacken der Geschenke, das Essen vom Weihnachts-Teller (jeder erhielt seinen eigenen!) und das Bewundern bzw. Spielen mit den Geschenken nahm viel Zeit in Anspruch. Süßigkeiten vom „Lichterbaum“ durften am Heiligen Abend noch nicht entnommen werden.

Nach einiger Zeit sangen wir zusammen Weihnachtslieder; d.h. mein Großvater spielte am Harmonium, meine Oma, Mutter (Anneliese Detering, geb. Klaus) und wir Kinder sangen dazu.

Danach gab es den traditionellen Heringssalat, den Oma kunstvoll auch mit Äpfeln, Kartoffeln, gekochten Eiern, roter Beete, Rindfleich und vielem mehr kunstvoll tags zuvor angerichtet hatte, damit nun alles so herrlich vermischt und durchsättigt schmecken konnte. Dazu gab es Weißbrot mit dick „guter Butter“ drauf. Oma sagte, daß bei all dem vielen Süßen am Heiligabend der Heringssalat einen guten Kontrast bieten würde, was auch wirklich stimmte.

Mehrere Riesen-Stollen, die meisterlich von Oma erstellt wurden, kamen zuvor zum Bäcker an der Ecke in der Forsterstraße und wurden dort im großen Ofen gebacken. Wenn ich mich richtig erinnere, gab es die erste Stolle zum Frühstück am 1. Feiertag. Der Stollen wurde danach in großen Blechkisten (im Schlafzimmer auf dem nicht beheizten Kachelofen) aufbewahrt und reichte bis zum Osterfest. Je später man davon aß, desto mehr schmeckte er nach Marzipan.

Zum 1. Feiertag gab es meist Gänsebraten mit Grünkohl; am 2. Feiertag gab es öfter Rinder-„Lende“ (Filet!). Nach dem Mittagessen steckte sich Opa eine Zigarre an und spielte am Harmonium Weihnachtslieder; aber auch manchmal Stücke aus Wagner-Opern.

Eike A. Detering zu Weihnachten 2000

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