Bekenntnisse eines Rechenmaschinen - Freundes
Der Autor Eike A. Detering war von 1965 bis 1999 Mathematik- und Informatiklehrer an Berliner Sekundarschulen

Zu Beginn meiner Schulzeit (Einschulung: 1946 in Eisleben/Lutherstadt) hätte eine "Rechenmaschine" ( 10x10 Perlen an waagerechten Drähten aufgereiht) gute Dienste leisten können, aber so etwas gab es kurz nach dem Krieg in meiner Grundschule und zuhause nicht.
Die erste richtige Rechenmaschine lernte ich nach dem Abschluß der 8-klassigen Volksschule ab 1954 während meiner Lehre zum "Vermessungszeichner" in Halle kennen: es war eine Sprossenradmaschine aus Metall. Schnell lernte ich, sie zu bedienen. Es ging um die 4 Grundrechenarten bis hin zur trickreichen Bestimmung einer Quadratwurzel. Ich war sofort von der Maschine begeistert, von ihrer Leistungsfähigkeit bzw. Genauigkeit. Das lag auch daran, daß ich zur gleichen Zeit mit einer relativ ungenauen Zahlentafel während der Ausbildung rechnen mußte. Da überzeugte mich die Genauigkeit der Sprossenrad-Maschine, die natürlich auf wenige Rechenarten (eigentlich nur die 4 Spezies) begrenzt war.


"Meine" damalige Sprossenradmaschine war allerdings eine "Brunsviga". Wie nachhaltig sich diese frühe Liebe zur Rechenmaschine in mein Herz grub, konnte erst später beobachtet werden.
Nach einem Jahr brach ich jedoch die Lehre ab, weil es für mich noch nicht einmal die Ausbildung zum einfachen Ingenieur geben sollte. Ich ging mit 15 Jahren nach Berlin-West, um am Gymnasium das Abitur anzustreben. Mathematik wurde bald mein Lieblingsfach. Rechenhilfsmittel bis zum Abitur 1961 waren allerdings nur die Logarithmentafel und der Rechenstab. In Ermangelung von Besserem rechnete ich sogar gern mit diesen Hilfsmitteln.

Konrad Zuse hatte bekanntlich gegen Ende des 2. Weltkrieges in Berlin erste Computer vorgestellt, die bereits auf der Basis von Dualzahlen rechneten. Computer waren anfangs allerdings nach dem 2. Weltkrieg schrankgroße Geräte, die in einem klimatisierten Computerraum aufgestellt waren und nur von Fachleuten bedient werden konnten.
Dies änderte sich zum einen durch das Aufkommen von Taschenrechnern, zum anderen durch Tischcomputer, die mittels ASSEMBLER oder der Programmiersprachen BASIC bzw. PASCAL programmiert werden konnten. Selbst während meines Mathematik-Studiums gab es allerdings noch keine Taschenrechner und keine tragbaren Computer.

1965 bekam ich meine erste Anstellung als Lehrer an einer Berliner Hauptschule. Die Benutzung des Rechenstabs war zu dieser Zeit noch Gegenstand des Rahmenplans für Mathematik. 1967 unterwies ich Hauptschüler meiner 8. Klasse in einer Arbeitsgemeinschaft in den Gebrauch des Rechenstabs (sieh nachfolgende Fotos). Dieses Thema war auch Gegenstand meiner schriftlichen Arbeit zur 2. Staatsprüfung: "Die Arbeit mit dem Rechenstab im Unterricht der Hauptschule", 1968.

Taschenrechner von Hewlett Packard gab es ab ca. 1972. Sie waren aber zunächst einmal finanziell unerreichbar für einen Junglehrer mit Familie. Rechnerkauf war in dieser Zeit nämlich immer eine Privatangelegenheit des daran interessierten Lehrers.
Ein elektronischer Tischrechner mit 220 V Stromkabel-Anschluß und Leuchtdioden-Display (siehe unten)  war das erste Rechenhilfsmittel, das ich in meinem Mathematik-Unterricht ab 1972 am Gymnasium hauptsächlich zur Demonstration einsetzte.


Ab 1973 setzte ich am Gymnasium aber auch bereits den programmierbaren Tischrechner WANG 600 - 18, der die Größe einer damaligen Büroschreibmaschine hatte, im Mathematikunterricht ein. Übrigens: 1973 kostete ein WANG 600 den stolzen Preis von      11 660 DM. Ein Händler hatte mir das Gerät für 2 Jahre ausgeliehen. Nachfolgend eine Abbildung des Vorgänger-Modells WANG 500.
 
WANG 500 Markierungskarte

Ich war davon überzeugt, daß Mathematik von den Schülern durch das Erlernen der Programmierung dieses elektronischen Rechners leichter verstanden wird und besser angewendet werden kann. (Idee: Erst, wenn man einen Lernstoff an andere lehrend weitergeben kann, hat man den Stoff verstanden.) Die Eingabe am Rechner erfolgte entweder über die Tastatur oder mit Hilfe von Markierungskarten (siehe Abbildung oben!), die mit Bleistift codiert wurden. Ein angeschlossenes Kartenlesegerät erfaßte die Programmierung über die Markierungskarten.
Ich konnte u.a. Multiple Choice Tests für Mathematik (das Auswertungsprogramm hatte ich übrigens selbst geschrieben) noch innerhalb einer 45-minütigen Unterrichtsstunde auswerten lassen. Die letzten 5 Minuten der Stunde reichten aus, um für 30 Schüler die Bewertung ihrer Arbeit auszugeben. Die Ergebnisse wurden auf der Papierrolle ausgedruckt. Ich war davon überzeugt, daß die Schüler ihre mathematische Befähigung beim Programmieren mathematischer Probleme verbessern könnten. Daher wurde in den Klassenstufen 7 bis 10 in meinem Mathematik-Unterricht je eine Unterrichtseinheit mit Hilfe des WANG-Rechners (Programmierung) erarbeitet. Daß ich die Freiheit hatte, neben den allgemeinen Rahmenplan- Anforderungen das Programmieren eines mathematischen Themas im Mathematilunterricht durchzuführen, verdanke ich dem von mir hochverehrten Schulleiter Wilhelm Preuß, der Vertrauen in mich setzte und meine didaktischen Erprobungen unterstützte.
Die Ergebnisse dieser Erprobungen veröffentlichte ich 1974 als schriftliche Arbeit für mein 2. Studien-Wahlfach "Pädagogische Kybernetik" (Abschluß des Erweiterungsstudiums parallel zur Unterrichtstätigkeit am Gymnasium) mit dem Titel: "Der Einsatz eines Microcomputers im Bereich der Sekundarstufe I".

Die Taschenrechner-Modelle der Firma COMMODORE ab 1976 waren endlich auch für einen Lehrer mit Familie und Kindern bezahlbar. In dieser Zeit erwarb ich den Taschenrechner SR 4148 R (siehe nächste Abbildung), der sich u.a. durch eine übersichtliche Tastatur (kaum Doppelbelegungen!) auszeichnete. Dieser Taschenrechner unterstützte nun endlich mit "riesiger Genauigkeit" alle Rechnenarten und Berechnungen, die am Gymnasium laut Rahmenplan erforderlich waren. Natürlich konnte ich in diesem Moment noch nicht daran denken, daß es einmal eine Zeit geben würde, in der alle 28-30 Schüler einer Mathematik-Klasse über einen eigenen Taschenrechner, geschweige denn Notebooks verfügen würden.

Informatik - Unterricht an der Berliner Realschule

Informatik-Unterricht gab es vor 1980 in Berlin nur an den Oberstufen von Gymnasien als Wahlangebot. Ich aber wollte auch für interessierte Berliner Realschüler ein Informatik-Angebot haben. Dies ließ sich offensichtlich nur in den Wahlpflichtbereich des vorhandenen Kurses A einbauen. Zunächst als begrenzter Schulversuch erlaubt, wurde später in Berlin "Mathematik/Informatik" allen Realschülern im 9. und 10. Jahrgang als Wahlpflichtfach angeboten. Die freiwillig teilnehmenden Realschüler hatten dann 4 Stunden Mathematik im Klassenverband und zusätzlich 4 Stunden "Mathematik/Informatik" als Wahlpflichtfach.
1980 machte ich mir Gedanken, welcher Rechner so preiswert und gut ist, daß er auch an kleinen Realschulen angeschafft werden kann. Meine Wahl fiel auf den COMMODORE  PET 2001, der zu den ersten Personal Computern (PCs) zählte und zuerst an einer Realschule in Berlin-Zehlendorf im Wahlpflichtbereich "Mathematik/Informatik" der 9. und 10. Klassen durch den Autor zum Einsatz kam. An den Gymnasien konnte man sich teure, vernetzte Großrechenanlagen (mit unintelligenten Eingabe-Konsolen) leisten, an der Realschule war der "COMMODORE" genau richtig, weil viel preiswerter und außerdem mit der interaktiven Programmiersprache BASIC ausgestattet.

 

Der BASIC-Interpreter war bei diesem Rechner fest implementiert. Seine Speicherkapazität betrug zunächst 8 KByte. Ein Kassetten-Rekorder war zum Speichern der Programme vorgesehen. Ein alter s/w-Fernseher wurde von mir über ein Interface angeschlossen. Ein Matrix-Drucker war damals schon als "Luxus" zu bezeichnen.
Mit dieser Konfiguration (Foto rechts oben!) wurde mein Informatik-Unterricht an einer Berliner Realschule im Schuljahr 1980/81 begonnen.
Zehn freiwillige Schüler der A-Kurse der 9. Klassen wurden zur Teilnahme motiviert. Obwohl wir nur über einen Rechner verfügen konnten, waren die Schüler aus dieser "Pionierzeit" sehr leistungsmotiviert (eigene Spielekonsolen oder PCs gab es bei den Schülern noch nicht!). Lehrbücher für die Sek. I lagen noch nicht vor. Ich konzipierte einen anwendungsorientierten, problemlösenden Informatikunterricht, der Schritt für Schritt in das Problemlösen und Programmieren (auch mathematischer Themen) einführte. Nach und nach wurde die Hardware-Ausstattung des Wahlpflichtkurses A: "Mathematik/Informatik" verbessert. Dies war nicht einfach, weil in den 80-er Jahren noch viele Kollegen gegen Computer eingestellt waren, sie quasi für Esoterik oder ein "Teufelszeug" hielten. Natürlich wollten manche Kollegen auch nicht, daß ihr eigener Fachbereichs-Geldansatz durch Informatik-Beschaffungen verkleinert wird.
Der neue Informatikraum wurde bald mit zehn C128-ern von COMMODORE ausgestattet, die alle auf eine Floppy-Disk zugreifen konnten. Die erste preiswerte Mini-"Vernetzung" war gelungen. COMAL wurde nun von mir als Programmiersprache eingesetzt. COMAL hatte starke Ähnlichkeit mit PASCAL (Prozeduren-Konzept), man konnte aber mit COMAL wie bei BASIC  interpreterorientiert arbeiten, was für Realschüler eine Erleichterung bedeutete. Ein fertiges Programm konnte natürlich auch als EXE-File selbständig laufen.

Nachdem wir mit IBM-kompatiblen PCs ausgestattet wurden, die auch bald "richtig" vernetzt werden konnten, war es auch möglich, an mathematischen Lehr-Programmen mit meinen Mathematik-Klassen im PC-Raum zu arbeiten. Dazu unten mehr.

Erst der Einsatz eines LCD-Displays (erst s/w, dann in Farbe) ermöglichte durch Projektion des Demo-PCs an eine Leinwand eine größere Lehreffizienz sowohl in Informatik als auch in Mathematik. Damals gab es allerdings auch bis zu 20 Schüler im Kurs M/Info, was für den einzelnen Lehrer sehr viel Einsatz erforderte, eigentlich aber nicht effizient war.
Da es mein Ziel war, nicht nur den Rahmenplan für "Mathematik/Informatik" zu erfüllen, sondern alle Schüler zu guten Programmierern (auch mit mathematischen Inhalten) ausbilden wollte, gab es immer viel zu tun. Der Lehrplan sah für das 4. Halbjahr (10. Klasse, 2. HJ) eine Projektarbeit vor. Diese Programmier-Projekte waren so etwas wie Informatik - Abschlußarbeiten. Im Laufe der Jahre wurden sehr viele Projektthemen bearbeitet. Meist arbeiteten 3-4 Schüler in einer Projekt-Gruppe. In manchem Jahr gab es 5 Gruppen mit 5 verschiedenen Themen. Alle brauchten irgendwann meine Hilfe. Das Eindenken in alle Programme klappte mitunter nur durch verstärkte Hausarbeit des Lehrers. Begeistert waren aber alle Beteiligten dennoch fast immer. 

Randbemerkung: Der Arbeitsstil im Kurs A (möglichst selbständiges Problemlösen) hat sich auf die Leistung im Mathematik-Klassenunterricht positiv ausgewirkt. Fast alle meine Info-Kursschüler konnten ihre Mathematiknote (zumeist bei anderen Lehrern!) im Laufe der 2 Jahre erheblich verbessern. Meine Uralt-These, daß Programmieren (u.a. auch mathematischer Themen) die Mathematik-Leistungsfähigkeit eines Schülers erhöht, war längst mehrfach bestätigt worden. Nachdem Informatik als Wahlpflichtfach an fast allen Berliner Realschulen (9.u. 10.Klasse) fest verankert war, war auch schon der Reiz der Aufgabe nicht mehr zwingend für mich. Ich nahm die Gelegenheit wahr, in die von Oberschulrat Kaiser neu gegründete "Arbeitsgruppe Computereinsatz im Fachunterricht" als Referent für Mathematik einzusteigen. Für diese Arbeit beim Senator für Schule wurde ich mit halber Stelle freigestellt.

Einsatz des Computers im Mathematik-Unterricht

Die Einsatzmöglichkeiten von elektronischen Rechnern (PCs) waren nicht auf den Informatik-Unterricht zu beschränken. Das Vorliegen erster Programme auf Datenträgern (meist von Lehrern programmiert!) für fast alle Unterrichtsfächer legte nahe, Lehrer weiterzubilden, damit sie Computer auch in ihrem Fachunterricht einsetzen könnten. Waren zu Beginn meines Informatik-Unterrichtes noch keine Lehrbücher vorhanden, so war es nun wieder so, daß zunächst die Lehrbücher auf den Computereinsatz bzw. vorliegende Programme nicht Bezug nahmen. Dabei lag natürlich gerade der Computereinsatz im Mathematik-Unterricht auf der Hand. Wir sammelten und erprobten Lehrprogamme, wir entwarfen und erprobten im eigenen Unterricht didaktische Konzepte für den Computereinsatz; und wir veranstalteten Lehrerfortbildungen. 

Diese Freiheit des Gestaltens gefiel mir. Die Pionier-Situation, das Offene, reizte mich wieder sehr stark. Vom Anfang an etwas mitgestalten zu können, das setzte zusätzliche Kräfte frei. 

Anfangs handelte es sich noch um drei bis vier Computer verschiedener Hersteller, die in Berliner Schulen im Einsatz waren. Wir versuchten also, für alle diese Computer Software-Beispiele zu sammeln und zu testen. Gut, daß sich der PC von (ursprünglich) IBM bald durchsetzte, denn danach konnten wir unsere Arbeit auf ein System konzentrieren.

Es gab zunächst viele kleine Software-Tools und natürlich auch bald Software wie MULTIPLAN (daraus wurde später MS-EXCEL), die für den Mathematik-Unterricht interessant war. Gute algebraische Software (z.B. DERIVE) wurde zuerst programmiert, weil Grafik auf dem PC-Bildschirm wie auch dem Drucker noch zu primitiv aussah. Nach dem Siegeszug von MS-Windows, dem Einsatz der Maus und der graphischen Benutzeroberfläche wurde Grafik-Software immer besser. Heute ist ein Programm wie "EUKLID-Dynageo" nicht mehr aus dem Geometrie-Unterricht wegzudenken. Der Erwerb einer "Schullizenz" erlaubt es Schülern und Lehrern einer Schule, die Software gemeinsam auf verschiedenen Rechnern (also auch zu Hause!) zu nutzen. Eine Software wie EUKLID-Dynageo kann helfen, dem zu Unrecht verdrängten Geometrieunterricht in der Schule wieder zu mehr Einfluß zu verhelfen.

Nach der Wende wurden alle Lehrer Ostberlins Beamte; sie hatten aber eine Weiterbildungsverpflichtung auferlegt bekommen. Die ostberliner Mathematiklehrer haben  mein Kollege Neumann und ich fast alle weitergebildet. Es waren natürlich diejenigen, die freiwillig unser mathematik-didaktisches Angebot gewählt hatten.

Ich möchte hier nicht weiter in Einzelheiten vordringen, denn Internet-Portale der verschiedenen Bundesländer und private WWW-Sites  berichten über M-Software und ihren denkbaren Einsatz im M-Unterricht recht ausführlich.

Diese mathematik-didaktische Tätigkeit, an der Landesbildstelle Berlin beortet, habe ich ca. 15 Jahre lang bis zu meiner Pensionierung ausgeübt. In dieser Zeit wurde es nie langweilig, weil immer bessere Software auf den Markt kam, weil z. B. "Multimedia" in die Schulen drängte und weil die immense Bedeutung des Internets für das Lehren und Lernen erkannt wurde. Um möglichst schnell viele Lehrer weiterzubilden, wurden von unserer Arbeitsgruppe große Tagungen vorbereitet und organisiert, wurden didaktische Handreichungen für Lehrer verfaßt, wurden ganze Kollegien oder Fachkonferenzen vor Ort an ihren Schulen informiert bzw. praktisch in die Arbeit mit dem PC eingewiesen.

Und nun?

Der PC, die moderne Rechenmaschine, hält mich nach meiner Pensionierung noch immer außer Atem. Allerdings programmiere ich nicht mehr, denn meine Programmiersprache COMAL läuft nicht mehr auf Win10, weil die Weiterentwicklung eingestellt wurde. Etwas faul geworden, wird von mir zum Rechnen höchstens noch EXCEL eingesetzt. Dafür ist die Beherrschung der neuen Betriebssysteme von Windows ja fast so schwierig wie das Programmieren; ohne das regelmäßige Lesen einer Computerzeitschrift ist man da fast aufgeschmissen.

M-Software setze ich nur noch dann und wann ein; vor allem beim Nachhilfeunterricht.

Im Jahr 2021 gebe ich keine Nachhilfe mehr. Ich lerne jetzt, mit einem Apple Macbook Air M1 umzugehen, um es einmal so beherrschen zu können wie meine WINDOWS PCs.

zurück Homepage